"König LAURIN - Figur der Dietrichsepik und
der tiroler Volkssage"
(oder, der Zwergenkönig des Rosengartens)
Die Sagenwelt kennt König Laurin als listigen Zwerg, der mittels Kraftgürtel und Zauberschwert seinen Rosengarten in den Tiroler Bergen verteidigte. Doch die Tatsache, dass Laurin von jedem Eindringling als Pfand den rechten Fuß und die linke Hand verlangte, machte auch Dietrich von Bern hellhörig. So kommt es, dass Laurin auch zur Figur der Dietrichsepik wird.
Das Versepos "Laurin und der Kleine Rosengarten" entstand um 1250 und liegt in 17 Handschriften und 11 Drucken des 13./14. bis 16. Jahrhunderts vor.
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Die Sage
Südlich von Bozen, vom Etschtal bis zum Schlern, erstreckte sich das Reich des Zwergenkönigs
Laurin. Tief im Erdinneren in einer kristallenen Burg hatte der König
seinen Sitz. Tausende von Zwergen waren ihm untertan, die für ihren
Herrn unermessliche Schätze an Gold, Silber und Edelsteinen aus dem
Felsen gruben und seine Schatzkammern mit köstlichem Schmuck füllten.
Oben aber, im Licht der Sonne inmitten steinernen Felsengewirrs, hatte sich
der König einen herrlichen Garten angelegt, in dem viele prächtige
Bäume, blühende Sträucher, wundersame Blumen und duftende
Rosen, Rosen ohne Zahl, Auge und Herz erfreuten. Dieser herrliche Zaubergarten
war nur mit goldenen Fäden umzäunt: jeder, der vorbeikam, konnte
den Anblick genießen, doch niemand durfte es wagen, den goldenen Faden
zu zerreißen oder ohne Erlaubnis des Königs den Wundergarten
zu betreten: es wäre sein Tod.
Einst ritt Herr Dietrich von Bern mit seinen Kameraden, dem alten Meister
Hildebrand und den jungen Helden Wolfhart, Wolfbrand, Wittich und Dietleib,
von seiner Residenz Bern nach Norden, um den Zaubergarten des Zwergenkönigs
aufzusuchen. Herr Dietrich wollt den Zwerg für seine Untaten bestrafen,
obwohl Meister Hildebrand seine warnende Stimme erhob und seinen Herrn bat,
sich vor der übermenschlichen Kraft des Zwergenkönigs zu hüten.
Lange Zeit ritten die Kameraden dahin, vorbei an schrecklichen Abgründen, über nacktes Felsgeröll, überquerten tosende Gebirgsbäche, fanden sich in trostloser, schweigender Einöde und wollten schon die Hoffnung aufgeben, den vielgerühmten Zaubergarten aufzufinden, als sich ihnen hinter einer Felswand ein blühendes Wunderland auftat. Süßer Rosenduft hüllte sie ein, liebliche Vogelstimmen erklangen, und freudig stiegen sie von den Pferden, um sich, müde vom weiten Ritt, in das weiche Gras zu werfen. Doch nicht lange hielten sie Rast: der Zwerg sollte seine Strafe haben. Sie begannen den Garten zu verwüsten, zerstampften das Gras, zertraten die Blumen, köpften die Rosen und taten Schande, wo sie konnten.
König Laurin ritt heran, um den Frevel zu bestrafen. Ein goldener Helm schirmte seinen Kopf, helles Leuchten ging von einem glänzenden Karfunkelstein aus, der den Helm schmückte. Seine Brünne leuchteten von Edelsteinen, ein elfenbeinerner Schild, mit goldenen Zieraten durchwirkt und mit blitzenden Steinen geschmückt, glitzerte im Sonnenlicht. An seiner Seite hing in goldener Scheide ein Schwert, an dessen Knauf ein heller Diamant erstrahlte. Drei hatte der König bei sich, aus denen seine Kraft floß: einen Ring, der ihm Zwölfmännerstärken verlieh, einen Gürtel, der Zauberkraft besaß, und eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machen konnte. Trotz allem entbrannte ein schwerer Kampf, in dem es Herrn Dietrich gelang, dem Zwergenkönig seinen Ring (samt Finger), den Zaubergürtel sowie die Tarnkappe zu entwenden. Aber König Laurin hatte noch einen Trumpf im Ärmel, er hatte die Schwester vom Helden Dietleib, Kühnhild, in seinem Reich gefangen. Dies sagte er dem Helden Dietleib und es wäre zu einem weiteren Kampf gekommen, wenn sich nicht Hildebrand mit den anderen Rittern dazwischengeworfen und die erregten Gemüter besänftigt hätte.